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Die Sucht nach Technik

Beherrschbar, steuerbar, regulierbar.
Alles was wir mit Menschen nicht können, bietet uns die Technik. Und weil uns doch noch etwas fehlt, werden Roboter nun emphatisch und zeigen Gefühle. Das muss man erst mal in sich sinken lassen.
Maschinen erleichtern uns grundsätzlich die Arbeit, sie nehmen uns diese sogar in manchen Fällen ab. Deswegen haben wir nun soviel Zeit übrig und faulenzen den ganzen Tag herum. Oder gehen in der gewonnen Freizeit den schönen Dingen des Lebens nach. Ist das nicht so? Aber so müsste es doch sein in dieser schönen Welt, in der die Maschine den Menschen aus der Sklaverei befreit hat?!
Es ist eben nicht so. Seit wir Maschinen, Roboter und Computer haben, verbringen wir die meiste Zeit unseres Lebens mit oder vor diesen. In der Kommunikation zu unseren Mitmenschen sind sie in sehr vielen Fällen Mittler geworden. Sie binden unsere Energie und Aufmerksamkeit und spalten uns immer mehr von einer natürlichen Nähe zu uns und unseren Nächsten ab. Wenn nun auch noch die menschenähnlichen Roboter unseren Lebensraum erobern, befördern wir sie zu verbreiteten Ersatzgenossen. Damit geben wir ihnen eine Rolle, die heute noch von lebenden und fühlenden Haustieren besetzt ist. Manchmal auch von Mitmenschen.

Warum wollen wir dieses Leben und warum steigern wir uns noch mehr da hinein? Es ist weder natürlich, noch offensichtlich dienend und doch streben wir danach. Wir sind sogar danach süchtig geworden.
Es ist ein „Teufelskreis“ von der Angst vor und der Sehnsucht nach Nähe. Es dient dem Verlangen nach Kontrolle und Berechenbarkeit des Geschehens in unserem Umfeld. Es bedient ausserdem eine Sehnsucht nach der Erfüllung der Träume über uns, als materiell beschränktes Menschenwesen, hinauszuwachsen. Der Fortschritt durch Technik ermöglicht das scheinbar.

Angst und Sehnsucht in Kombination verlangen nach kleinen Schritten der Annäherung. Das ist möglich, wenn wir über die Schritte bestimmen können, wenn wir sie steuern und kontrollieren können. Wenn Maschinen als Mittler dienen in der Kommunikation zwischen Menschen und in der dabei zugelassenen Nähe, dann ist das kontrollierbar oder nicht unmittelbar spürbar. Die Maschine ist dazwischen und schützt uns. Sie gibt uns Deckung. Da wir heute bereits so aufwachsen, können wir den Umgang mit menschlicher Nähe immer weniger entwickeln. Was wir von Geburt aus können, verlernen wir. Wir werden immer menschenscheuer und lernen immer weniger mit den eigenen direkten Aktionen und Reaktionen umzugehen. Wenn uns eine Aktion oder Reaktion eines anderen direkt und ungeschützt trifft, können sehr starke Verletzungen entstehen. Das führt zu Angst und Rückzug. So entwickelt sich eine Gesellschaft, die nicht nur den direkten Kontakt scheut, sondern eine Sucht nach (Ver)Mittlern und damit nach Technik und Maschinen entwickelt, denn dadurch erhalten wir die benötigte Kontrolle. Ausserdem können wir unseren Radius vergrössern und mit den Menschen in Kontakt treten, die uns seelisch verwandter und nähre sind. Dadurch sinkt das Konfliktpotential und Harmonie ist garantiert. Der Teller wird globaler. Doch der Tellerrand bleibt.

Die Erleichterung des Lebens durch Maschinen und die Macht, welche durch Beherrschung entsteht, ist ein weiterer Faktor, der uns in die Technisierung treibt. Wir sind zu oft ohnmächtig in unserem Leben und mit der Kontrolle über die Maschine und deren Steuerung erhalten wir wieder Macht zurück. Wenn wir deren Logik programmiert oder verstanden haben, sind wir die Führer. Für alle anderen ist es ein Zeit- und Nervenfresser - ein Graus. Schon wieder wird die Gesellschaft und damit die Gemeinschaft durch die Technik gespalten. Für die, die damit Aufwind in ihrer Macht bekommen und damit ihr Minderwertigkeitsgefühl im Umgang mit Menschen kompensieren können, wird es zur einer mittelbaren Lösung und damit zu einer Notwendigkeit. Für die anderen ist es Frust. Beide befinden sich in der Abhängigkeit zur Technik. Die Mächtigen bestimmen über die Frustrierten. Sucht entsteht durch die Abhängigkeit zu etwas, denn es kompensiert, statt ursächlich zu heilen. Die neuen Mächtigen sind süchtig und herrschen. Ein Kreislauf von Minder- und Mehr-Wertigkeit entsteht.

Die Sucht nach Kontrolle und der damit verbundenen Abhängigkeit von der Technik können wir nur heilen, wenn wir lernen unsere Bindungs- und Beziehungsfähigkeit zu leben. Dazu müssen wir unsere Ängste überwinden, in den kleinen Schritten die dafür nötig sind von Mensch zu Mensch und Nähe zulassen, auch wenn diese im ersten Moment alte Verletzungen trifft. Erst wenn wir den Schmerz spüren, wenn wir erkennen, wo er ist, können wir ihn annehmen, liebevoll betrachten und heilen. Mit einer Mauer aus Technik im zwischenmenschlichen Umgang werden wir das nicht schaffen.

Wir werden auch unser Potential nicht in der Technik finden und erweitern können, auch nicht in dem Sezieren einer DNA oder dem Manipulieren von Genen. Erst wenn wir erkennen, dass wir als Wesen nicht auf das irdische, menschliche Dasein beschränkt sind, sonder es ein Da-Sein auch jenseits der materiellen Grenzen gibt, werden wir Höhenflüge wagen und vollbringen, die uns in die Gefilde bringen, die wir als Potential und der damit inneliegenden Sehnsucht in uns erkennen. Dann brauchen wir keine Technik mehr, um Kräfte zu entfalten, die uns über die Beschränktheit der Materien hinauswachsen lassen und wir werden unsere heutige Vorstellung des Möglichen ins Unfassbare und Unvorstellbare ausdehnen. Dann werden wir uns von den Krücken der Technik befreien, weil wir erkannt haben, dass wahre Freiheit unabhängig ist.

Sieglinde Lorz

Donnerstag, den 20. Oktober 2016